Cover
Titel
Merz & Benteli. Mit Leuchten, Kleben und Dichten Geschichte gemacht


Autor(en)
Thut, Walter
Reihe
Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik
Erschienen
Zürich 2018: Verein für wirtschaftshistorische Studien
Anzahl Seiten
104 S.
von
Christoph Zürcher

Endlich kommen wieder einmal Berner zum Zug, möchte man sagen. Sie sind dünn gesät in der vom Verein für wirtschaftshistorische Studien (Zürich) herausgegebenen Reihe Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik. Den neusten über die Pionierfamilien Merz und Benteli mitgezählt, sind bisher nur sechs Bände erschienen: über die Hasler, Eduard Will, Johann Ulrich Aebi, die Wander sowie die Wifag-Leute Carl Winkler, Otto und Ursula Wirz. Auch unter den 100 Persönlichkeiten der Berner Geschichte, welche die Website des Historischen Vereins Bern auflistet, befinden sich nur neun Wirtschaftspioniere und -persönlichkeiten (Camille Bloch, Gottfried Egger, Walter Gerber, Johann Friedrich Gugelmann, Gustav Adolf Hasler, Nicolas Hayek, Hermann Kümmerly, Theodor Tobler und Georg Wander). Fazit: Die Reihe Pioniere ist stark zürichlastig, und die Liste des Historischen Vereins versammelt zu einem grossen Teil Personen aus dem Ancien Régime. Umso erfreulicher ist der gelungene Band von Walter Thut.

Wer den Namen Benteli hört oder liest, denkt zuerst an den bekannten Kunstverlag, der 1902 durch Ludwig Wilhelm Albert Benteli (1867 – 1944) in Bern gegründet wurde. Benteli war Theologe und wirkte als Pfarrer in Solothurn, bevor er Leiter der Verlagsabteilung im Warenhaus seines Schwiegervaters Wilhelm Kaiser wurde. 1895 stieg er ins Druckereigewerbe ein, er übernahm 1897 die Druckerei Collin, die er 1906 in einen Neubau auf dem Areal des Neuen Schlosses Bümpliz verlegte, das er 1903 als Familienwohnsitz erworben hatte.

Wer den Markennamen Cementit hört, denkt an den populärsten Klebstoff der letzten 90 Jahre. Er bringt ihn allerdings weder mit der Familie Benteli noch mit Bümpliz in Verbindung. Doch die Verbindung besteht. Der Sohn des Verlagsgründers, Wilhelm Albert Benteli (1893 – 1955), drittes von fünf Kindern, gründete am 9. Oktober 1918 zusammen mit seinem Studienkollegen Jakob Walter Merz (1893 – 1966) die Kollektivgesellschaft Chemisches Laboratorium in Bern Bümpliz (ab 1942 Aktiengesellschaft unter dem Namen Merz & Benteli AG) zur Herstellung lumineszierender Farbe für die Uhrenindustrie mit radioaktiven Materialien.

Anregt zu diesem «Spin-off» wurden die beiden durch ihren Professor Volkmar Kohlschütter, der seit 1909 an der Berner Universität Chemie lehrte. Bei ihm doktorierte Walter Merz 1922 über das Thema Radium und dessen Verwendung als Leuchtmittel (Photo- und Radiolumineszenzerscheinungen beim Zinksulfid. Bern 1922). Produktionsort der Leuchtfarben war das Tiefparterre des Neuen Schlosses in Bümpliz, in dem die beiden schon während ihrer Studienzeit ein Refugium für ihre Tüfteleien eingerichtet hatten. Die Gründung der Firma erfolgte übrigens ohne nennenswertes Kapital, und zusammengehalten wurde sie auch durch eine familiäre Verbindung: Walter Merz heiratete Bentelis Schwester Dora.

Die Uhrenindustrie war an Leuchtfarben interessiert, um Zeiger und Zifferblätter in der Dunkelheit lesbar zu machen. Bald gehörten Longines, Omega und Zenith zu den Kunden der Jungfirma. Die Firma wuchs und brauchte mehr Produktionsraum, der erst im Gartenhaus und im Waschhaus des Neuen Schlosses, 1936 dann in einem neuen Laborbau geschaffen wurde. Das hing auch mit dem zweiten Standbein der Firma zusammen, dem Klebstoff Cementit, der 1932 auf den Markt gebracht wurde. Eigentlich als ergänzendes Produkt für die Uhrenindustrie gedacht, wurde Cementit bald zum wichtigsten Handelsprodukt der Firma und in den 1960er-Jahren zu deren Glücksfall und Retter. Nach dem Durchbruch der atomaren Energietechnik war Schluss mit dem lockeren Umgang mit radioaktiven Substanzen, dem auch Albert Benteli zum Opfer fiel. Er starb mit 62 Jahren an den Folgen jahrelanger radioaktiver Verstrahlung.

Zum Cementit (der heute nur noch ein Prozent des Umsatzes ausmacht und in Dänemark hergestellt wird) gesellten sich 1958 die ersten Zwei-Komponenten-Polysulfid-Dichtstoffe für Industrie und Baubranche unter der Marke Gomastit. 1969 ergänzten Ein-Komponenten-Polysulfid- und Silikon-Dichtstoffe das Bausortiment. Die Ein-Kom-ponenten-Technologie ersparte den Mischvorgang und verbesserte die Anwendungs-sicherheit markant. 1986 verarbeitete die Firma die ersten Silanmodifizierten Polymere in Europa. Diese Dicht- und Klebstoffe hafteten fortan ohne Haftvermittler. Mit ihnen wurden die Deckfugen des Dampfschiffs Blümlisalp, die Fugen der Staumauer des Kraftwerks Sernf im Glarnerland, die Glasdecke in der Lobby des Hotels Bellevue oder die Fassade des Wankdorf-Stadions abgedichtet.

Für die Produktion dieser Bauhilfsstoffe wurde 1974 ein neues Werk in Niederwangen erstellt, in dem rund 100 Personen arbeiten. Das Unternehmen gehört zu etwa zwei Dritteln den Erben von Walter Merz und zu einem Drittel einem japanischen Unternehmen. Es erzielte 2017 einen Umsatz von 43 Millionen Franken und einen Betriebsgewinn von 4 Millionen Franken. Und die Entwicklung geht weiter: So wurde ein Dichtstoff entwickelt, der mehrheitlich aus nachwachsenden Rohstoffen besteht, und für die Autoindustrie ein Leim, der besonders leicht ist und so hilft, Schrauben und damit Benzin zu sparen.

Alles in allem: eine beeindruckende Firmengeschichte, typisch für KMU und bemerkenswert wegen der Langlebigkeit dieser Zweifamilienfirma über vier Generationen dank Unternehmergeist, Kreativität, Innovation, Durchhaltewillen und auch einigen glücklichen Zufällen. Das Unternehmen erbrachte zahlreiche Pionierleistungen beim Umsetzen von Forschungsergebnissen in die industrielle Praxis.

Walter Thut versteht es, diese Firmengeschichte und die in ihr enthaltenen Biografien der beiden Gründer spannend, präzis, gut gegliedert und schlüssig darzustellen. Komplizierte technische Abläufe werden anschaulich und auch für Laien nachvollziehbar präsentiert, ebenso Erläuterungen zu chemischen Aspekten der Produktion. Dafür standen ihm ein gutes Firmenarchiv und drei Familienarchive zur Verfügung. Hilfreich sind auch die übersichtlichen Stammbäume der beiden Gründerfamilien. Grosse Aufmerksamkeit wurde der Bebilderung geschenkt. Da finden sich Aufnahmen der Protagonisten, der Gebäude, Fotos zum Produktionsprozess und vor allem Reproduktionen von Plakaten und Werbematerial. Sehr hübsch: ein handgeschriebener Dankesbrief eines Walter Schmid. Dem Pechvogel war eine Skispitze gebrochen. Mit Cementit wurde der Schaden dauerhaft beseitigt.

Die Merz-&-Benteli-Geschichte ist natürlich auch ein wichtiger Teil der Schlossgeschichte und der Gemeindegeschichte von Bümpliz. Das wird in einer kurz gefassten Einleitung vorgestellt. Fazit: Die Lektüre lohnt sich sehr.

Zitierweise:
Christoph Zürcher: Rezension zu: Thut, Walter: Merz & Benteli. Mit Leuchten, Kleben und Dichten Geschichte gemacht. (Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik, Bd. 111). Zürich: Verein für wirtschaftshistorische Studien 2018. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 4, 2018, S. 82-84.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 4, 2018, S. 82-84.

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